Fachliche Prüfung: Dr. Christian Keinki
Veröffentlicht am 22. Juni 2022
In diesem Artikel erfährst Du:
- weshalb Zuckerverzicht den Krebs nicht „aushungern“ kann
- was gegen eine zuckerfreie Diät spricht
- worauf Du bei Deiner Ernährung achten solltest
Vielleicht hattest Du auch schon diesen Gedanken: Deine täglichen Mahlzeiten ernähren nicht nur Deinen Körper. Du fütterst auch den Krebs. Die Idee liegt dann nahe, nicht mehr das zu essen, was der Krebs braucht. Leider ist das nicht so einfach.
Fakt ist: Krebszellen wachsen und teilen sich sehr schnell. Dazu brauchen sie viel Energie. Diese Energie liefert ihnen vor allem Glukose, auch bekannt als Traubenzucker. Glukose gewinnt der Körper aus der Nahrung; vor allem aus Kohlenhydraten, die in Brot, Reis, Kartoffeln und natürlich in Süßigkeiten vorkommen.
Also auf Zucker oder ganz auf Kohlenhydrate verzichten?
Die Idee klingt einleuchtend: Zucker ernährt den Krebs, also verhungert er ohne. Leider funktioniert das nur im Reagenzglas und nicht in Deinem Körper.
Es stimmt, Krebs braucht Zucker, um zu wachsen. Aber ganz egal, wie Du Dich ernährst: Die Krebszellen nehmen sich, was sie brauchen.
Das heißt: Der Krebs stiehlt sich Energie aus den Vorräten Deines Körpers, wenn Du auf Zucker verzichtest. Das schwächt Dich zusätzlich. Daher bringt es Dir gar nichts, Zucker oder Kohlenhydrate vom Speiseplan zu streichen. Im Gegenteil.
Fachleute sind sich einig: Es gibt keinen Beleg, dass eine zuckerfreie Ernährung das Tumorwachstum im menschlichen Körper stoppen kann.
Zahlen und Fakten – Wissen im Detail
Wieso bringt Zuckerverzicht nichts bei Krebs?
Grund 1: Dein Körper braucht Glukose zum Überleben – also auch Deine gesunden Zellen
- Dein Gehirn ist komplett auf Glukose angewiesen. Es ist der einzige Treibstoff fürs Gehirn.
- Du verlierst Kraft, wenn Glukose fehlt: Dein Körper versucht dann auf andere Weise Energie zu gewinnen. Er passt seinen Stoffwechsel an. So kann er in Notzeiten eine Weile ohne Kohlenhydrate überleben. Langfristig ist das nicht empfehlenswert und kann sogar gefährlich werden.
Hier holt sich Dein Körper Glukose (Traubenzucker) – bei einem Mangel an Glukose
- Glukosespeicher (Glukagon). Dein Körper leert die Speicher in Leber, Niere und Muskeln.
- Fett. Dein Körper zerlegt Fett in verschiedene Bestandteile.
- Glycerol. Mithilfe von Glycerol kann Dein Körper die Neubildung von Glukose ankurbeln.
- Mit Fettsäuren, die beim Fettabbau entstanden sind, bildet Dein Körper sogenannte Ketonkörper. Das ist eine Art Zuckerersatzstoff. Damit kann Dein Körper sogar das Gehirn mit Energie versorgen. Es ist der Notbetrieb des Körpers bei einem Glukosemangel. Einher geht dieser Notbetrieb mit einer Übersäuerung des Körpers. Der Stoffwechsel entgleist. Im schlimmsten Fall besteht dann Lebensgefahr.
- Proteine (Muskeln). Dein Körper löst Proteine in den Muskeln auf. Dabei entstehen Aminosäuren, aus denen Dein Stoffwechsel Glukose erzeugt. Die unerwünschte Folge: Du verlierst Muskelmasse und damit Kraft.
Ein weiterer negativer Effekt des Glukosemangels: Du verlierst wahrscheinlich rasch an Gewicht. Während einer Krebstherapie ist ein Gewichtsverlust jedoch nicht hilfreich. Im Gegenteil: Deine Chancen auf eine Heilung werden dadurch nachweislich geringer. Der Energie- und Substanzverlust kann in der Regel nicht wieder aufgeholt werden. Dein Ziel sollte jetzt sein: Gewicht halten, bei Untergewicht idealerweise zunehmen!
Grund 2: Krebszellen holen sich Glukose, koste es, was es wolle.
Krebszellen sind ein Teil von Deines Körpers und zapfen bei Zuckermangel Deine Reserven an. Dein Körper baut dann eben Fett und Muskeln ab, um die Glukose selbst zu erzeugen, wenn er sie nicht mehr aus der Nahrung bekommt.
Zusätzlich haben Krebszellen raffinierte Mechanismen, um an Glukose zu kommen und sie schnell in Energie zu verwandeln:
- Krebszellen bilden neue Blutgefäße: Sie senden bestimmte Botenstoffe aus und „befehlen“ dem Körper, Blutgefäße zum Tumor zu führen. Diese Blutgefäße versorgen dann die Krebszellen mit den benötigten Nährstoffen wie Glukose.
- Krebszellen bauen mehr Glukosetransporter. Das sind Proteine, die Glukose aus dem Blut oder aus dem Gewebe in die Zellen transportieren. Damit können Krebszellen mehr Glukose aufnehmen als gesunde Körperzellen.
- Krebszellen „verbrennen“ Glukose ohne Sauerstoffzufuhr. Hast Du einmal versucht, einen Ofen oder Grill zu befeuern, ohne Sauerstoff? Unmöglich. Unser Körper kann das. Bei Spitzenbelastungen wie bei einem Sprint für kurze Zeit. Doch das kostet viel Energie. Trotzdem nutzen die meisten Krebszellen diese Form der Energiegewinnung rund um die Uhr. Damit erhöhen sie den Glukosebedarf enorm. Ein möglicher Grund: wie bei einem Sprint kommen sie damit schneller an Energie. Und der Körper muss sie liefern.
Kurz: Der Verzicht auf Zucker und Kohlenhydrate kann den Tumor nicht von der Energiezufuhr abschneiden – zumindest nicht im ausgefeilten System des menschlichen Körpers.
Es gibt vielversprechende Studien und Forschung, die den Glukose-Stoffwechsel der Krebszellen als Angriffsziel nutzen wollen. Doch im Selbstversuch zu Hause mit einer „Diät“ kannst Du keine positiven Effekte erreichen. Dazu sind der Stoffwechsel der Krebszelle und die Vorgänge im menschlichen Körper viel zu komplex.
Wenn Dich eine kohlenhydratarme, eiweißreiche Diät nachhaltig interessiert, kannst Du Dich bei Deiner Onkologin oder Deinem Onkologen über eine Studie zu ketogener Diät erkundigen. Wenn Du an einer Studie teilnimmst, bekommst Du eine engmaschige Betreuung, sodass rasch reagiert werden kann, falls unerwünschte Wirkungen auftreten.
Was sagen frühere Studien?
Einige Forscherinnen und Forscher haben untersucht, wie sich Krebsdiäten auf die Therapie auswirken. Eine Forschungsgruppe der Uni-Klinik Jena hat 39 Studien mit insgesamt 770 Patientinnen und Patienten zusammengefasst, um eine verlässliche Übersicht zu erhalten.
Die einzelnen Studien wurden meist mit wenig Probanden durchgeführt. Zudem hatten sie auch ansonsten methodische Einschränkungen. Daher erlauben die Ergebnisse noch kein endgültiges Urteil, aber als Zwischenfazit halten die Fachleute fest: Es gibt bislang keinen Beleg, dass eine zuckerfreie Ernährung die Krebstherapie unterstützt.
Die Ergebnisse im Detail:
Eine zuckerfreie Ernährung während der Krebstherapie
- hat keine nachweisbare Wirkung auf das Tumorwachstum
- verlängert die Überlebenszeit nicht
- verbessert die Lebensqualität nicht, sondern verschlechtert sie eher
- führt zu einem deutlichen Verlust von Körpergewicht (im Mittel etwa 3 bis 11 Kilogramm)
Wie ernährst Du Dich richtig bei Krebs?
Eine ausreichende Versorgung mit allen Nährstoffen – das ist das wichtigste Ernährungsziel bei einer Krebstherapie. Eine professionelle Ernährungsberatung kann dabei unterstützen. Dazu gehört auch eine angemessene Menge an Kohlenhydraten und den anderen Nahrungsbestandteilen.
Besondere Diäten sind dafür nicht erforderlich, oft sind sie sogar von Nachteil.
Eine ausgewogene Ernährung stärkt Deinen Körper und hilft ihm, die Belastungen einer Krebstherapie zu überstehen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gibt dafür Empfehlungen, die auch bei Krebs gelten:
- Iss viel Gemüse, Obst, pflanzliche Öle und bevorzugt Produkte aus Vollkorn.
- Iss eiweißreiche Lebensmittel wie Käse, Quark, Nüsse und Hülsenfrüchte.
- Lebensmittel tierischen Ursprungs dienen nur als Ergänzung.
- Halte Maß bei Salz.
- Meide Alkohol am besten ganz.
- Bereite Deine Mahlzeiten schonend zu und genieße sie in Ruhe.
Ist Zucker also nicht schädlich?
Die Antwort richtet sich nach Deiner Situation:
- In der Therapie: Jetzt ist es sehr wichtig, dass Du Dein Gewicht stabil hältst und Du möglichst nicht abnimmst. Dann ist es ok und in einigen Fällen vielleicht sogar sehr hilfreich, süße und kalorienhaltige Speisen zu essen. Frage Dein Behandlungsteam, worauf Du in Deiner Situation achten sollst.
- Sind Deine Therapien abgeschlossen und der Krebs erfolgreich zurückgedrängt, ist es sinnvoll, wenn Du den kurzkettigen Zucker, so gut es geht, reduzierst. Genieße Süßes nur in Maßen. Denn: Studien zeigen, dass Zuckerkonsum viele Krankheiten begünstigt wie Diabetes mellitus und Übergewicht. Vor allem Übergewicht ist bei einigen Krebsarten ein Risikofaktor. Trotzdem ist es nicht nötig, dass Du Dich sehr unter Druck setzt. Gerade wenn Du Dich viel bewegst, darf es auch mal ein Stück Kuchen oder eine andere Süßigkeit sein. Entscheidend ist ein maßvoller Umgang bei einer ansonsten ausgewogenen Ernährung.
Zusammengefasst
Krebszellen benötigen viel Energie, um sich zu vermehren. Es gibt jedoch keinen Beleg, dass eine zuckerfreie Ernährung das Wachstum von Tumoren verlangsamt. Viele angebliche Krebsdiäten erhöhen das Risiko von Mangelernährung und Gewichtsverlust. Wichtig für Dich ist stattdessen eine ausgewogene Ernährung, die alle Nährstoffe in ausreichender Menge zur Verfügung stellt.
Das kannst Du tun
- Achte auf eine gesunde und ausgewogene Ernährung.
- Nimm ausreichend Nahrung zu Dir, vermeide einen Gewichtsverlust.
- Bei Problemen suche die Hilfe von Fachleuten. Gute Informationen bieten Diätassistentinnen und Diätassistenten, sowie Fachleute der Ernährungswissenschaft und der Ökotrophologie.
- In der Mika-Themenreise „Ernährung bei Krebs“ bekommst Du viele Informationen zum Thema.
Quellen
- Deutsches Krebsforschungszentrum, Zucker und Kohlenhydrate bei Krebs: Schädlich oder unverzichtbar?, 15.11.2020, krebsinformationsdienst.de, www.krebsinformationsdienst.de
- Deutsche Krebsgesellschaft, Die 10 Regeln der DGE für gesunde Ernährung, 05.07.2021, Onko Internetportal, abgerufen am 23.05.2022 von www.krebsgesellschaft.de
- Römer, M., Dörfler, J., & Huebner, J. (2021). The use of ketogenic diets in cancer patients: A systematic review. Clinical and Experimental Medicine, 21(4), 501–536. doi.org
- Lane, J., Brown, N. I., Williams, S., Plaisance, E. P., & Fontaine, K. R. (2021). Ketogenic Diet for Cancer: Critical Assessment and Research Recommendations. Nutrients, 13(10), 3562. doi.org
- gesund.bund.de (2021). Gesund leben. Zucker: So schlecht wie sein Ruf? Abgerufen am 31.05.2022 von gesund.bund.de
- Debras C, Chazelas E, Srour B, Kesse-Guyot E, Julia C, Zelek L, Agaësse C, Druesne-Pecollo N, Galan P, Hercberg S, Latino-Martel P, Deschasaux M, Touvier M. Total and added sugar intakes, sugar types, and cancer risk: results from the prospective NutriNet-Santé cohort. Am J Clin Nutr. 2020 Nov 11;112(5):1267-1279. doi: 10.1093/ajcn/nqaa246.